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Elektra-Geburt einer Tragödin

14.03.2008

Die Wiederaufnahme von Elektra am Nationaltheater Mannheim zeigt eine Caroline Whisnant auf Weltniveau- die Einschätzung von Frank Herkommer in opernnetz.de

Geburt einer Tragödin

Am 5.Oktober des Jahres 1980 feierte die Elektra-Inszenierung von Ruth Berghaus am Nationaltheater Mannheim Premiere. Und weil sie auf jede Psychologisierung verzichtet, dem Unableitbaren die Kontingenz belässt, dem Mythos gibt, was des Mythos’ ist, bleibt das Gezeigte zeitlos ansprechend. Ruth Berghaus gibt dem ohnmächtigen Schmerz und der unabdingbaren Vergeltung ein Gesicht, verleiht dem Schreien nach Gerechtigkeit eine Stimme, zeigt den Triumph, der im Genießen den Tod enthält wie den Gröps von einem schönen Apfel (Rilke, Duineser Elegien).

Was in Mannheim an diesem Abend geschieht, kann nur als Geburt einer großen Tragödin beschrieben werden. Caroline Whisnant spielt und singt nicht die Elektra, sie ist Elekta. In ihrer Verschanzung hinter groben Holzpalisaden mit Falltor erscheint sie halb als Ausgeschlossene, halb als Zugang Gewährende zu ihrer verwundeten und auf Rache sinnenden Seele. Sie stampft sitzend ihren unbändigen Zorn in die rote Erde, die sich noch nicht satt getrunken zu haben scheint am Menschenblut. Assoziationen zu Hektor und Achilleus kommen bei diesem beeindruckenden Bühnenbild auf (Marie-Luise Strandt, auch für die angemessenen Kostüme verantwortlich). Ihre Hände krampfen vor Spannung, wenn es um die Wiederherstellung der gestörten Weltordnung geht. Ihr Gesicht wird je nach Lage durchfurcht von Sorge und Zorn, Verächtlichkeit und unerträglicher Anspannung. Furor und Schönheit, Eumenide und Königskind, alles kommt zum Ausdruck. Aus ihrem Kleid macht sie eine zweite Haut, in ihre Bewegungen mit einbezogen, wenn sie sich die Hände abwischt, sich schürzt, sich erhebt und in diesem Augenblick aus der Verachteten die Herrin über Leben und Tod werden lässt.

Ihre überirdisch ausdrucksstarke Stimme dringt in die Seelen ein und überwältigt sie. Dieser Urgewalt kann sich niemand entziehen. Als meißelte sie eine Michelangelo-Statue, so setzt sie ihre Töne, transportiert auf ihnen ihre Seele, ihre Crescendi technisch brillant, fast schon unerträglich schön, als haute sie Wege ins Blaue (Bloch, Geist der Utopie). Ihr Forte lässt eine Ahnung aufkommen, wie der Weckruf am Jüngsten Tag sich anhören könnte. Um dann wieder barmend in die lyrische Tonfärbung zu wechseln. Die Piani voller Anmut.

Elisabeth Hornung in der Rolle der Klytämnestra hat dagegen einen schweren Stand. Ihre Stimme geht bei dieser zugegebener Maßen höchst schwierigen Partie immer wieder unter dem friendly fire des Orchesters irgendwo in dessen Graben sang- und klanglos unter. Ihr Spiel überzeugend.

Trotz Ansage eine bemerkenswerte und ansprechende Leistung vom Manuela Uhl in der Rolle der Chrysothemis. Ihre Stimme hat Klarheit, schlafwandlerische intonatorische Sicherheit und unverwechselbare euphonische Farbe.

Wolfgang Neumann, Mannheimer Wagner-Urgestein, singt seinen Aegisth gewohnt souverän und stimmschön. Einzigartig seine ihm eigentümliche Weise, die Silben zusammen zu ziehen und dadurch aneinander zu reihen als seien sie Perlen an einer durchgängigen Kette und somit dazu da, einen melodischen Fluss zu erzeugen. Im Klang immer wieder ungewohnt, als betone man bei der U-Deklination die Antepaenultima.

Karsten Mewes überzeugt in der Rolle des Orest. Der Krieger mit dem Agenten-Gen, Werkzeug schwesterlicher Rache. Die Stimme ausdrucksstark, männlich, seelenvoll.

In den weiteren Rollen ohne Ausnahme gut: Luis Molz (Pfleger), Susanne Scheffel (Vertraute), Sabine Vinke (Schleppträgerin), Uwe Eikötter (Junger Diener), Radu Cojocariu (Alter Diener), Anna Matyuschenko (Aufseherin). Die fünf Mägde: Ceri Williams, Yvonne Schiffelers, Heike Theresa Terjung, Cornelia Ptassek und Iris Kupke.

Das Orchester darf in seiner Leistung an diesem Abend unter der Leitung von Friedemann Layer mit dem außergewöhnlichen Prädikat titanisch beschrieben werden. So muss Richard Strauß gespielt werden. An der Grenze zur Gotteslästerung.

Das Publikum ist außer sich. Der Beifall grenzt bei der Whisnant an Huldigung. Epilog: zwei nicht an der Aufführung beteiligte Stars des Hauses unterhalten sich im Anschluss: Gibt es irgendwo in der Welt eine Sängerin, die die Elektra besser singen kann als Caroline Whisnant? Und beide beantworten sich ihre Frage unisono und wertungsgleich.