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23.4.2024 : 13:09 : +0200

Evita am Theater Trier

03.09.2012

Nach Westside-Story wieder ein Musical zur Saisoneröffnung- Sven Grützmacher zeigt, dass er mehr kann als nur vorzügliche Choreographie. Von einer ansprechenden Inszenierung berichtet Korrespondent Frank Herkommer für Opernnetz.

Stilechte Revolution

Man merkt der sozialmärchenhaften Inszenierung von Sven Grützmacher an, dass er von Hause aus Choreograph ist, und man merkt es ihr nicht an. Und beides verstehe man als Kompliment. Jeder Schritt sitzt, jede Pose trägt, der Chef des Trierer Tanztheaters setzt lesbare Körpersprache in Szene. Der argentinische Macho greift sich gerne in den Schritt, auch Che deutet die Strategie des Mädchens aus dem Vierten Stand handfest an. Die Franzosen stellen ihre Flûtes phallusgleich nach oben. Die Herren Generäle spielen Reise nach Jerusalem, um die Machtfrage zu beantworten. Lustgetriebene Heuchelkleriker beiderlei Geschlechts karikieren sich selbst. Der arroganten Aristokratie Britanniens wird der Spiegel vorgehalten. Evita spielt mit den Männern, die umfallen wie Dominosteine. Kleine Kunstgriffe mit großer Wirkung. Eine Geschichte, die sich erzählt. Der ein treppenbewehrter Ausguck genügt, um eine Rede vor dem Volk auf die kleine Bühne zu bringen. Nichts wird übertrieben, keine Überzeichnungen, dafür prototypische Figuren, denen eine Persönlichkeit eingemalt wird. Der Raum fungiert als ein Teil der Personenführung, wenn aus der Machtzentrale, die an Hässlichkeit mit jedem Staatsgebäude des Realsozialismus mithalten kann, ein Teil heraus gefahren wird, das Volk bedrängt und in die Schranken weist, um es dann wieder in den Bann der Madonna für die Armen zu schlagen. Grützmacher beschränkt sich nicht auf eine vorzügliche Choreografie des Erfolgsmusicals, dessen Melodien kein Verfallsdatum zu kennen scheinen: Er arbeitet eine überzeugende Entwicklungsgeschichte der Evita heraus. Daneben wird auf einer zweiten Ebene das Verhältnis von Revolution und Linkspopulismus beleuchtet. Großartig der Einfall, nach einer Folterung, die nicht dargestellt, sondern in ihren Folgen sichtbar gemacht wird, die Bewaffnung Ches anzusetzen. Der, der zu Beginn auf ihrem Sarg steht, trägt die Gescheiterte am Ende von der Bühne. Er hebt sie auf, der Weg des Linkspopulismus ist damit aufgehoben, eliminiert, in die Revolution übergegangen, der schwarze Lichtvorhang, den Grützmacher fallen lässt, nimmt das Ende der Revolution in Lateinamerika vorweg.

Die vorzüglichen Kostüme von Alexandra Bentele eine Hommage an die Jahre, in denen das Musical spielt. So waren die Menschen wirklich gekleidet. Schärpen, die stilisieren, Kleider, die erotisch ansprechen, ein Che mit Strohhut und Leinenhose, Geheimdienstler im Leder: Die Liebe zum Detail besticht. Für das Bühnenbild zeichnet Dirk Immich verantwortlich. Originalfotos von Juan und Evita, die einschweben. Ein Tangoparkett, das zur episch breiten Treppe mutiert. Keine opulenten Aufbauten, stattdessen Umstellungen leichter Hand. Nichts bleibt unerzählt.

Das Philharmonische Orchester Trier, verstärkt um eine kleine Band, unter Leitung von  Christoph Jung, nimmt von Song zu Song Fahrt auf, findet schnell zur Harmonie und einer Interpretation, die ebenso glaubwürdig wie hörenswert ist.

Grützmacher kann Psychogramme einschreiben, Entwicklungsgeschichten erzählen, weil er über Protagonisten verfügt, die diesen Anforderungen mehr als genügen. Eine alles überstrahlende Evita, gesungen, getanzt und gespielt vom neuen Ensemblemitglied Kristina Stanek. Die Mezzopsopranistin zeigt eine große Wandlungsfähigkeit. Natürlich ist ihr vor allem in den Höhen hin und wieder die Opernstimme anzuhören, in den hohen Piani dann wieder ganz die Musicalstimme. Sie beherrscht die Klaviatur der Gefühle, die Beißende aus der Unterschicht, die junge Frau, die ihren Körper edelprostituiert, die Zielbewusste, die weiß, wie man sich einen Großen wie Perón gefügig macht, diejenige, die ihre Rolle als Selbstlose so ernst nimmt, dass sie sie sich selbst glaubt, dann wieder die Zerbrechliche und Gebrochene, nach Lebenslust pur. Eine Frau mit Entwicklungen und Brechungen und Brüchen. Kristina Stanek demonstriert, warum das Musical Evita heißt. Mit Matthias Stockinger hat das Trierer Theater ein zweites Schwergewicht neu in seinem Ensemble. Engagiert als Schauspieler und Sänger, überzeugt er restlos in der Rolle des Ché. Eine einschmeichelnd schöne Stimme, ein charakterstarker Darsteller. Alexander Trauth ein Perón, dem man die menschliche Unterlegenheit gegenüber Evita abnimmt, seine sonore Stimme gibt dem Populisten die Geradlinigkeit, die seiner Eindimensionalität entspricht. Die gedemütigte Mistress, eingehüllt ins Badelaken, die Haare nass: Minja Anusic hat nur einen Auftritt, für den sie allerdings Minuten lang bejubelt wird. Eine Stimme, die sie für höhere Musicalaufgaben prädestiniert, eigentümlich und unverwechselbar in der Färbung, erotisch im Klang. Ein perfekter Tangotänzer Augustin Magaldi, getanzt und schmachtvoll gesungen von Svetislaw Stojanovic. Der Chor, Extrachor und Kinderchor zeigt sich spielfreudig. Viele kleine Rollen werden vorzüglich von Chormitgliedern gespielt und gesungen. Eine feine, hörens- und sehenswerte Leistung, einstudiert von Angela Händel und Thomas Trabusch. Ein Ballett, es gibt nicht viele davon, das bestens für Musicals geeignet ist, weil seine Mitglieder sowohl zu tanzen als auch zu singen und zu spielen verstehen.

Das Publikum begeistert. Minutenlange Ovationen, zahlreiche bravi. Die Premiere im renovierten Haus überzeugt voll und ganz. Alle sind sich einig: Diese Inszenierung wird ein voller Erfolg.